Göttingen
Hans-Günther Klein, der damalige Direktor des Jungen Theaters Göttingen, hatte die bekannte französische Chansonnière Barbara Anfang 1964 nach Göttingen zu einem Gastspiel eingeladen. Aufgrund ihrer Lebensgeschichte und der eigenen Flucht vor den Nazis lehnte sie die Einladung zunächst ab, sagte dann aber am darauffolgenden Tag doch noch zu. Sie verlangte, dass man ihr einen Flügel für den Auftritt zur Verfügung stelle. Als sie im Theater ankam, stand aber auf der Bühne ein Pianino. Barbara war äußerst verärgert und weigerte sich kategorisch, das Konzert zu geben. Es schien unmöglich, ihre Forderung zu erfüllen. Schließlich gelang es einigen Studenten doch noch, einen Flügel zu beschaffen. Aufgrund des großen Erfolges ihres ersten Auftrittes und der für sie unerwartet warmherzigen Atmosphäre in der Stadt verlängerte sie ihr Engagement um eine Woche. Am Nachmittag vor ihrem letzten Konzert fasste sie die Eindrücke zusammen:

"Sie forderte einen Flügel für den Auftritt. Stattdessen gab es nur ein Pianino"
„In Göttingen entdecke ich das Haus der Brüder Grimm, in dem die uns gut bekannten Märchen unserer Kindheit entstanden sind. Am letzten Mittag meines Aufenthaltes kritzelte ich ‚Göttingen’ im kleinen Garten nieder, der an das Theater grenzte. Am letzten Abend habe ich den Text zu einer unfertigen Melodie, wofür ich mich entschuldigte, vorgelesen und gesungen. In Paris habe ich dieses Chanson fertiggestellt. Ich verdanke dieses Chanson also der Beharrlichkeit Günther Kleins, zehn Studenten, einer mitfühlenden alten Dame, den kleinen blonden Kindern Göttingens, einem tiefen Verlangen nach Aussöhnung, aber nicht des Vergessens.“

1967 kehrte sie für einen Auftritt nach Göttingen zurück. Zum ersten Mal sang sie „Göttingen“ in der bis dahin unbekannten deutschen Übersetzung von Walter Brandin. Das Publikum spendete ihr daraufhin minutenlangen Beifall. „Göttingen“ gehörte danach zum Repertoire jedes ihrer Konzerte.

Das Chanson ist in Frankreich sehr bekannt und leistete Mitte der 1960er Jahre einen bedeutenden Beitrag zur deutsch-französischen Verständigung. Im Jahre 2002 ließ Xavier Darcos, damaliger Staatssekretär im französischen Bildungsministerium, „Göttingen“ in das offizielle Schulprogramm der Vor- und Grundschulen aufnehmen. 2003, zum 40. Jahrestag des Élysée-Vertrages, zitierte der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Ansprache während der gemeinsamen Sitzung des Deutschen Bundestages und der französischen Assemblée Nationale im Schloss Versailles aus dem Chanson. Schröder selbst hat 1966-71 in Göttingen studiert.

Auch im Chanson „D’Allemagne“ der französischen Sängerin Patricia Kaas findet sich eine Anspielung auf Barbaras Chanson mit den Worten „Reparlez-moi des roses de Göttingen“ („Erzählt/Erzählen Sie mir noch einmal von den Rosen in Göttingen.“). Es gilt als eines der bekanntesten und wichtigsten Werke von Barbara und als ein wesentlicher Beitrag zur Völkerverständigung und Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Juliette Gréco wiederum plauderte: „es ist zuerst ein Spiel, nicht ein Wortspiel, ein Spiel mit an-mutigen Worten, jedoch erhalten die Worte hierdurch einen Wert, eine wesentlich kräftigere Farbe. ‚J’avoue j’en ai bavé pas vous‘ – das ist herrlich. Er hat es so ausgedrückt, das ist kein ‚Javanais‘. Es ist viel stärker, viel musikalischer. Serge ist genial beim Jonglieren mit Musik und Worten.“